Historical archive

Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik

Rede zum Präsident der Bundesrepublik Deutschland Roman Herzog

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Published under: Bondevik's 1st Government

Publisher: The Office of the Prime Minister

Bogstad, Oslo, 18. Juni 1998

Eure Exzellenz Herr Bundespräsident, verehrte Frau Herzog,

Eure Majestät König Harald V. und Königin Sonja,

sehr geehrte Mitglieder der deutschen Delegation,

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

liebe Gäste!

Im Namen der norwegischen Regierung habe ich die große Freude, den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland Roman Herzog und seine Frau Christiane Herzog und das norwegische Königspaar zu diesem Essen willkommen zu heißen. Wenn das Staatsoberhaupt unseres großen und wichtigen Kooperationspartners Deutschland zu einem Besuch in Norwegen weilt, möchten wir den Rahmen gern ganz besonders gestalten. Daher entschloß sich die Regierung, Sie auf dieses Gut, Bogstad Gård, einzuladen. Es handelt sich hier um nicht weniger als eine kleine historische Begebenheit. Denn soweit wir wissen, hat in moderner Zeit noch keine entsprechende Zusammenkunft hier stattgefunden.

Bogstad Gård ist jedoch nicht zum ersten Mal der Schauplatz historischer Ereignisse. Der Name Bogstad ist seit langem mit wichtigen Vorkommnissen in der norwegischen Geschichte verbunden. Vor allem symbolisiert Bogstad die enge Verbindung zwischen Norwegen und dem größeren Europa, einschließlich Deutschland.

Als Norwegen im Jahr 1814 beim Frieden von Kiel die Möglichkeit erhielt, die nationale Selbständigkeit zurückzuerlangen, fanden wichtige politische Erörterungen eben hier statt. Der damalige Besitzer Peder Anker und sein Schwiegersohn Herman Wedel Jarlsberg spielten beide Anfang des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle im politischen Leben unseres Landes. Nach Gesprächen auf Bogstad wurde Peder Anker am 18. November 1814 zum ersten Regierungschef Norwegens mit dem Titel „Statsminister“ – zu deutsch Ministerpräsident – ernannt. Dieses Amt bekleidete er acht Jahre lang (– und war somit auch für die Gegenwart ein Vorbild!). Graf Wedel war ebenso lange Finanzminister, und zwei ihrer Nachkommen waren während der Personalunion mit Schweden norwegische Ministerpräsidenten.

Der Saal, indem wir uns jetzt befinden, wurde zu Peder Ankers Lebzeiten gebaut und eingerichtet, das heißt um 1780. Am Aussehen hat sich bis heute kaum etwas geändert; der Raum zeugt mit seiner Architektur und den Bildern, die Peder Anker bei seinen Reisen ins kontinentale Europa erwarb, vom Wert des Wechselspiels zwischen dem Nationalen und der Welt außerhalb der eigenen Grenzen. Goethe hat dies sehr treffend mit folgenden Worten zusammengefaßt: „Nur wer sich fremde Schätze aneignet, kann Großes schaffen.“

Norwegen und Deutschland haben in guten und in weniger guten Tagen eng zusammengelebt. Abgesehen vielleicht von unseren nordischen Nachbarn gibt es kaum ein Land und eine Kultur, die über so lange Zeit einen so entscheidenden Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung in Norwegen ausgeübt hat wie Deutschland. Wenn norwegische und deutsche Historiker diesen Herbst zusammenkommen, um die Perspektiven unserer Verbindungen zu diskutieren, werden sie bis ins frühe Mittelalter zurückblicken. Die bedeutende Ausstellung über die Beziehungen zwischen Skandinavien und Deutschland, die in Kürze im Norwegischen Volksmuseum hier in Oslo zu sehen sein wird, zeigt in aller Deutlichkeit die Breite und den Umfang der engen Kontakte auf nahezu allen Gebieten.

Ich möchte Ihnen, Herr Bundespräsident, gern versichern, daß die norwegische Regierung den Wunsch hegt und es sich zum vorrangigen Ziel gemacht hat, die Verbindungen und die Zusammenarbeit mit Deutschland weiterzuführen und zu verstärken. Wir können einander auf vielfältige Weise etwas geben. Deutschland ist unser wichtigster Handelspartner und ein enger Verbündeter. Die politischen Kontakte sind tief verwurzelt und auch in persönlichen Beziehungen verankert, wie es zum Beispiel mit Willy Brandt und den Menschen in Norwegen seinerzeit der Fall war. Selbst hatte ich im Dezember letzten Jahres die Freude, mit Bundeskanzler Kohl zu Gesprächen in Bonn zusammenzutreffen, und werde in einigen Wochen nach Berlin reisen, um die alte und neue Hauptstadt Ihres Landes zu besuchen. In allen diesen Zusammenhängen sind wir uns bewußt, welch dynamischen Faktor Deutschland bei den Bestrebungen für die Gestaltung eines freien und von Zusammenarbeit geprägten Europas darstellt.

Deutschland hat in der Nachkriegszeit einen entscheidenden Beitrag zu dem Europa geleistet, das heute im Entstehen begriffen ist. Dieses Europa ist noch unvollendet, doch wir erkennen bereits die Konturen einer gesamteuropäischen Gemeinschaft, wo Sicherheit und ein rechtmäßiger Anteil am Wohlstand für alle Menschen im Zentrum stehen. Willy Brandt drückte es so aus: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“ Diese seine Worte bezogen sich auf die Wiedervereinigung Deutschlands. Ich bin der Meinung, daß dieses Bild mit derselben Ausdrucksstärke auch auf das Zusammenwachsen des geteilten Europas zutrifft, das wir heute erleben können.

Norwegen steht bei dieser Entwicklung durchaus nicht am Rande. Zusammen mit Deutschland und anderen Partnern übernehmen wir unseren Teil der Verantwortung, so wie es in diesen Tagen auf dem Balkan gezeigt wird. In Zusammenschlüssen wie den Vereinten Nationen, der Nato, dem Europäischen Wirtschaftsraum und der OSZE verfolgt die norwegische Regierung das Ziel, daß Norwegen als ein engagierter und verläßlicher Kooperationspartner zur Lösung der gegenwärtigen Herausforderungen beitragen kann. Wie Deutschland legen wir sehr großen Wert darauf, daß Rußland in die europäische Zusammenarbeit integriert wird. Die regionale Kooperation, die wir über die Grenzen in Nordeuropa hinweg mit Rußland begonnen haben, wird jetzt durch die Nördliche Dimension vervollständigt, wo Deutschland ein wichtiger Partner ist.

Herr Bundespräsident,

wenn Deutschland und Norwegen so enge Beziehungen unterhalten, ist dies letztlich auch darauf zurückzuführen, daß wir weitgehend eine gemeinsame Wertebasis besitzen. Sie selbst haben die Wichtigkeit der Werte in der Politik hervorgehoben. Es handelt sich hier um ein Thema, das auch der norwegischen Regierung und mir persönlich sehr am Herzen liegt. Wir verfügen in unserem christlichen und humanistischen Kulturerbe über eine solide Plattform für das nächste Jahrhundert. Wir stellen aber auch fest, daß wir eine Reihe von Besorgnissen über Tendenzen der Verfremdung, Intoleranz und Selbstbezogenheit teilen. Uns als Entscheidungsträgern und Politikern gibt es, wie Sie betont haben, mehr als zu denken, daß viele junge Leute heute „ein wachsendes Unbehagen an der Politik“ empfinden. Wir teilen die von Ihnen zum Ausdruck gebrachte Überzeugung, daß diese Herausforderungen nur durch eine lebendige Demokratie und Mitbestimmung auf nationaler Ebene und durch eine breite, verpflichtende internationale Zusammenarbeit gelöst werden können. Die von Ihnen dargelegten Gedanken über die Globalisierung finden auch in Norwegen Widerhall.

Die kulturelle Verbundenheit zieht sich wie ein roter Faden durch unsere gemeinsame Geschichte. Meiner Regierung ist daran gelegen, diese Gemeinsamkeiten weiterzuentwickeln. Ich weiß, daß auch Sie, Herr Bundespräsident, hierin eine wichtige Aufgabe sehen. In der Erkenntnis der großen Bedeutung der menschlichen Dimension hat die norwegische Regierung daher beschlossen, die Errichtung einer Professur für deutsch-norwegische Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin zu unterstützen. Die Professur ist eng mit dem Namen Henrik (Heinrich) Steffens verbunden, der als gebürtiger Norweger einen Ruf nach Berlin annahm, wo er in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als Naturforscher und Philosoph tätig war. Durch seine Mittlerrolle stand er in dem fruchtbaren Spannungsfeld zwischen Norwegen und Deutschland, aus dem so wertvolle Werte hervorgegangen sind.

Ich bitte Sie nun, mit mir das Glas zu erheben – auf die Freundschaft zwischen Deutschland und Norwegen und auf das Wohl von Bundespräsident Herzog und seiner Frau Christiane. Es ist eine Ehre und Freude für uns, daß Sie hier sind.