Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik
Das feierliche Gelöbnis der Rekruten des Wachbataillons
Historical archive
Published under: Bondevik's 2nd Government
Publisher: The Office of the Prime Minister
Berlin, 20. Juli 2005
Speech/statement | Date: 21/07/2005
Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik
Das feierliche Gelöbnis der Rekruten des Wachbataillons
Berlin, 20. Juli 2005
Sehr geehrter Verteidigungsminister Struck,
sehr geehrte Angehörige und Nachkommer der Attentäter,
sehr geehrte Rekruten,
meine Damen und Herren!
Zwölf lange Jahre lebte Deutschland mit und unter einer der menschenfeindlichsten Diktaturen, die die Welt je gesehen hat. Der Umfang und das Ausmaß der Verbrechen des Naziregimes übersteigen unser Fassungsvermögen. Seit 60 Jahren versucht die Weltbevölkerung zu verstehen, wie es zu solchen Grausamkeiten in Europa kommen konnte. Ohne eine Antwort zu finden. Ich habe mir ein Zitat vom neuen Holocaust-Mahnmal in Berlin gemerkt: „Es ist geschehen – also kann es wieder passieren.“ Das Wissen über den 2. Weltkrieg muss an unsere Nachfahren weitergegeben werden. Wir müssen verhindern, dass so eine Entwicklung wieder ihren Lauf nimmt.
Norwegen ist eines der Länder, das von der Brutalität des Nationalsozialismus schwer getroffen wurde. Es ist eine Ehre für mich als norwegischen Ministerpräsidenten, zu diesem Anlass zu einer Ansprache eingeladen zu werden.
Heute, vor 61 Jahren placierte Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine bombe in Hitlers zimmer auf der Wolfschanze in Ostpreussen. Er war nicht alleine! Hinter im standen Kriegshelten wie General Feldmarchal Erwin Rommel und Admiral Canaris.
Es ist das bekannteste von mehreren Attentaten auf Hitler. Seinen Ursprung hatte es in den Reihen des Militärs. Daher ist es auch angemessen, dass das norwegische Militär heute hier mit der Paradegarde Seiner Königlichen Majestät und dem Militärkorps Trøndelags vertreten ist.
Der heutige Tag ist – paradoxalerweise – eine Ehrung deutscher Offiziere, die ihren Offizierseid gebrochen haben. In einer anderen politischen Situation würde man ihre Handlungen als Verrat betrachten. Diese Offiziere sahen sich gezwungen, ihr eigenes Loyalitätsideal aufzugeben, um sich gegen ein verbrecherisches Regime aufzulehnen. Sie wussten, dass sie damit ihr Leben riskierten. Sie waren davon überzeugt, dass die Nachwelt sie als Verräter verdammen würde. Und dennoch taten sie es. Einer der Beteiligten, Henning von Treschkow, sagte vor dem Attentat:
”Das Attentat muss erfolgen... Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung den entscheidenden Wurf gewagt hat”.
Obwohl das Attentat misslang, bewiesen von Stauffenberg und die anderen Verschwörer, dass es bis in die Flure der Macht hinein bedeutsamen deutschen Widerstand gegen das Hitlerregime gab.
Die Gegner des Naziregimes bildeten nach dem Krieg einen großen Teil der politischen Führung, sowohl hier in Deutschland als auch in ehemals von Deutschland besetzten Ländern wie Norwegen. Schon während des Krieges nahmen deutsche und ausländische Widerstandskämpfer Kontakt miteinander auf. Einige dieser Kontakte blieben weiter bestehen.
Ich denke hier beispielsweise an Willy Brandt, der in Norwegen Zuflucht vor dem Nationalsozialismus suchte, dort eine Norwegerin heiratete und die norwegische Staatsbürgerschaft annahm, bevor er zusammen mit vielen anderen Oppositionellen seine Flucht nach Schweden fortsetzen musste. Einige Jahre nach dem Krieg nahm Brandt wie bekannt wieder die deutsche Staatsbürgerschaft an und wurde einer von denjenigen, die zum Heranwachsen eines neuen Deutschlands und eines neuen Europas beitrugen.
Das neue Deutschland – und hier meine ich die Bundesrepublik – entwickelte sich sehr rasch zu einer wichtigen Triebkraft für die Demokratie in Europa. Die Idee eines wiedervereinigten Europa, das auf Demokratie und rechtsstaatliche Prinzipien gründet, wurde von Deutschland zu einem Zeitpunkt entworfen, als sie noch wie ein ferner Traum erschien.
Europas Teilung hat Berlin besonders hart getroffen. Aber auch Norweger erlebten, dass der eiserne Vorhang ihr Leben veränderte. Nicht zuletzt die nördlichsten Teile unseres Landes wurden stark von der geschlossenen Grenze zur Sowjetunion geprägt. Auch in diesen Gebieten wurden Familien durch den eisernen Vorhang auseinandergerissen.
Die norwegischen Politiker teilten die deutschen Visionen von einem Europa ohne einen eisernen Vorhang, ohne tiefe politische Trennlinien – obwohl diese Visionen oftmals wie eine Utopie erschien. Heute sehen wir, dass die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in beinahe allen europäischen Ländern verankert sind.
Die Entwicklungen der letzten Zeit in Ländern wie Georgien oder der Ukraine haben gezeigt, dass sich der Kampf um diese Ideale lohnt. Die Bevölkerung in Ländern, die seinerzeit einen unumstrittenen Teil der Sowjetunion bildeten, fern der westeuropäischen Wirklichkeit, will nun an demokratischen Rechten teilhaben.
Es gibt gute Gründe dafür, daran zu erinnern, was Deutschland und Europa in den sechzig Jahren seit Kriegsende und den fünfzehn Jahren seit dem Fall der Mauer erreicht haben. Ein Kontinent, der in Schutt und Asche lag, ist zu einem friedlichen Kontinent geworden, der zu einem hohen Maße von Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit geprägt ist. Ein Kontinent, der durch eine undurchdringliche Grenze geteilt wurde, ist wieder eins geworden. Aber immer noch bestehen große Unterschiede im Lebensstandard. Immer noch ist der Frieden nicht für alle gesichert. Das kann allerdings nicht von der Tatsache ablenken, dass die europäische Nachkriegspolitik in ihren Grundideen ein Erfolg gewesen ist. Junge Menschen in Europa können sich heute nicht mehr vorstellen, dass zentrale europäische Länder gegeneinander Krieg führen.
Deutschland und Norwegen haben sich beide nach dem 2. Weltkrieg aktiv dafür eingesetzt, Konflikte und Kriege zu verhindern – in Europa ebenso wie im Rest der Welt. Norwegische und deutsche Diplomaten, Entwicklungshelfer, friedenssichernde Truppen und Polizeikräfte arbeiten heutzutage in vielen Ländern zusammen. Afghanistan und der Balkan sind die wichtigsten Arenen für diese Zusammenarbeit. Auch im Berlin der Terrorismus-bekämpfung arbeiten unsere beiden Länder eng miteinanner. Der Glaube an das Völkerrecht ist in beiden Ländern stark, und wir unterstützen aktiv die UNO, die aus den Erfahrungen entstanden ist, die wir im 2. Weltkrieg gemacht haben.
Die deutsche Widerstandsbewegung kann, so sehe ich dies, am besten dadurch geehrt werden, dass die Arbeit für eine friedliche und demokratische Entwicklung innerhalb und außerhalb Europas fortgesetzt wird. Als norwegischer Ministerpräsident freue ich mich zu wissen, dass Deutschland und Norwegen weiter zusammenarbeiten werden, um diese Ziele zu erreichen.